"Die Midlife Crisis in der Ehe 

Das kann doch nicht alles gewesen sein

Das kann doch nicht alles gewesen sein

Das bisschen Sonntag und Kinderschreien

Das muss doch noch irgendwo hingehen

Die Überstunden das bisschen Kies

Und abends in der Glotze das Paradies

Darin kann ich doch keinen Sinn sehen …

Ich will noch ein bisschen was Blaues sehen

Und will noch ein paar eckige Runden drehen

Und dann erst den Löffel abgeben…eben…

Wolf Biermann, 1977


In seinem Lied beschrieb Wolf Biermann 1977 das, was man seit den 1970er Jahren als die „Midlife Crisis“ bezeichnet. Zuerst wurde sie belächelt. Mittlerweile ist sie allerdings wissenschaftlich belegt. Sie ist weder eine Krankheit noch eine Einbildung. Weder trifft man immer unmögliche Entscheidungen, noch kann man sich „einfach zusammenreißen“.  Jeden kann sie in der sog. Lebensmitte, also zwischen 45 und 55 betreffen. Manche beziffern ihren möglichen Beginn sogar schon auf Mitte 30. Den einen treffen die typischen Gedanken dieser Krise wie ein plötzlicher Schock. Andere beschleicht langsam ein nagender Zwiespalt: Weiter so? Oder: Soll das schon alles gewesen sein? 

Der Nürnberger Glücksforscher Prof. Dr. Karlheinz Ruckriegel (2020:8) schreibt unter dem Titel: „Warum die Krise glücklicher macht“, dass die von der Regierung jüngst notfallverordnete Coronapause viele aus dem Hamsterrad einer unreflektierten Zeitknappheit von Arbeit, Einkommenserzielung und Konsum heraus führte. Mit dem Ausstieg aus der zwar oft recht komfortablen, aber eintönigen und eingefahrenen Tretmühle von Beruf und Familie brachen Fragen auf: „Was ist denn nun der Lebenssinn?“ „Wer bin ich eigentlich und was will ich?“ „Was ist mir Priorität? Was kommt noch in meinem Leben? Kommen da noch ein Reiz, ein Kribbeln und Lebensabenteuer?“ Auch der Neurobiologe Gerald Hüther meint, dass dies Denken demnächst bei vielen zu Verhaltensänderungen führen werden. Nach ihm „…sind ein Drittel der Menschen in Deutschland am Überlegen, ob es noch so weitergehen soll, wie bisher“ (:8).

Solche wichtigen Fragen werden häufig jahrelang verdrängt. Mit Macht können sie umso mehr und plötzlich unerwartet aufbrechen. Nicht nur Männer sind davon betroffen, - wie manch einer meint, - auch Frauen. Und sie laufen in der Ehe eben nicht synchron. Spricht man bei Frauen von der „Menopause“, so ist es beim Mann die „Andropause“. Hormone auch im männlichen Körper flachen langsam ab. Das männliche Hormon Testosteron im Blut sinkt ihm ab dem 40. Lebensjahr um ein Prozent auch wenn es ein Leben lang erhalten bleibt (Hery-Moßmann 2020). Die unterschiedlichen Folgen können auch sexuelle Unlust und Erektionsstörungen sein. Organisch beeinflussen Hormone aber eben auch unbewusst unser ganzes Verhalten, Fühlen und Streben. Reizbarkeit, Zukunftsängste verbunden mit Schlafstörungen, Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Energiemangel bis hin zu Burnout-Syndromen, auch die bei Frauen in dieser Zeit bekannten Schwitzattacken können beide Geschlechter betreffen. Der Abbau der Muskulatur, das Ansammeln zusätzlicher Pfunde, - das sind nur einige Dinge, die Männer bzw. Frauen in dieser Zeit ernsthaft umtreiben können. 

Unbewusste Überzeugungen tiefer Minderwertigkeitsgefühle sind dann der Treibstoff, der viele Ehepartner jetzt fast panikartig auf die Suche treibt und manchmal in dramatische Abenteuer stürzen lässt. Lange wurden diese Mängel, von denen man überzeugt war, nicht ernst genommen. Man glaubte sie, verglich sich insgeheim mit anderen. Man schämte sich, sah es als großes „Geheimnis“. Sie kamen deshalb kaum zur Sprache. Jetzt aber treiben sie in die Torschlusspanik noch einmal alles zu erleben, worauf man bisher meinte verzichten zu müssen: Das heiß ersehnte Cabrio, sexuelle Abenteuer, eine Affäre mit einem Freund oder einer Freundin neben der Ehe. Plötzlich zieht ein Familienvater um in das Haus seiner Nachbarin, eine Frau verliebt sich in den Hauskreisleiter, in den Chef, oder es war beim Einkauf in der Fußgängerzone „die Liebe auf den ersten Blick“ in jemand anderes. Wieder andere überstürzen die Entscheidung eines Anstellungswechsels oder verändern sogar das Berufsfeld, wollen im Ausland das große Geld machen, bestellen einen Termin beim Schönheitschirurgen. Und das erschreckende: Dies alles geschieht nicht selten am Partner vorbei. „Ich habe plötzlich einen ganz anderen Menschen vor mir!“ sagen mir Eheleute in der Beratung. „Er spricht anders“, „Sie kleidet sich anders, macht alles anders“. Unerkannt bleibt, dass beide schon lange aneinander vorbei lebten. Jetzt aber wird schmerzhaft erfahren, was Forscher bestätigen: „Der Einfluss auf das Verhalten des Partners in der Midlife-Crisis ist gleich Null“1. Oder der Ehegefährte erfährt davon sogar über Ekcen von anderen und ist tief verletzt. Der andere scheint nicht mehr erreichbar. Deutlich wird: Auf der Suche nach Erfüllung soll alles für ihn kompromisslos und schnell gehen.

Der Partner bleibt, - häufig auch mit den Kindern und fassungslosen Gedanken und verletzten Gefühlen, - in seiner Einsamkeit zurück: Die Gewissheit, sich bis zum Lebensende Treue zu halten und das Hochzeitsversprechen vor Gott, Altar und Gemeinde scheint für immer unwiderruflich wie eine Seifenblase zerplatzt. Ein unbeschwerter Lebensabschnitt wird so nie wiederkommen. Weinkrämpfe bestimmen den Tag. Der vage Traum, dass doch noch wieder alles gut werden könnte weicht depressiven Gedanken, Selbstvorwürfen und Aggressionen.

Im Nachsinnen über diese in unserer Beratungsstelle in der Eheberatung wiederholt miterlebte, mit erlittene und wenn auch nicht so dramatisch in der eigenen Ehe durchlebte Situation habe ich mich gefragt: Wie kommt es, dass es manchen Ehen gelingt, sich durch die Stürme der Midlife-Crisis hindurch in ruhigere Gewässer zu retten, während andere daran zerbrechen? Wie ist es uns selbst, - Gott sei Dank, - in unserer Ehe gelungen? Zunächst zahlte sich in dieser Krise bei uns und anderen entscheidend aus, auf welche Art auch schon längst vorher die Ehebeziehung wertgeachtet und gepflegt wurde.

Fünf entscheidende Eckpunkte sollen dazu genannt werden. Ich möchte sie an dieser Stelle als lange hilfreiche Erfahrung aus der Eheberatung weitergeben:

1.   Machen Sie sich die biologischen Zusammenhänge bewusst: Die Midlife Krise hat zunächst mit unseren biologischen körperlichen Abläufen zu tun. Panik um die zerrinnende Zeit, das tiefe Bewusstsein um die Unumkehrbarkeit der Vergangenheit fordert jetzt auf Verantwortung für diese Lebensphase, diese Krise zu übernehmen und die eigene Einstellung, - nicht die des anderen, - zu überdenken. 

 

2.   Vermeiden Sie Machtkämpfe! Nichts führt so sehr in die Sackgasse jeder Beziehung, wie Machtkämpfe. Woran sind Machtkämpfe zu erkennen? Es geht bei ihnen um Sieger oder Verlierer, richtig oder falsch, oben oder unten. Das Denken kreist dabei darum, den anderen von der eigenen Richtigkeit und dessen Unrichtigkeit zu überzeugen. Man will ihn auf diesem Weg um jeden Preis verändern. Diese Haltung führt meist ins Gegeneinander, nicht ins Miteinander. Es entsteht „Ehekrieg“. Jesus indessen warnt in diesem Zusammenhang seine Jünger: „Wer das Schwert anfasst, der wird auch durch das Schwert umkommen“ (Die Bibel: Mt.26,52), wird also selbst am Machtkampf kaputt gehen. Aus ihm auszusteigen heißt jetzt gelassen zu bleiben, „den Anker zu werfen“, z.B. dem anderen mitunter auch recht zu geben. Vor allem aber geht es darum, dass jeder von sich selbst redet, von seinen eigenen Überzeugungen, seinem Empfinden und Erlebten, seinen Gefühlen und seinen Wünschen, ohne sich über den anderen zu stellen oder ihn verändern zu wollen.            

 

An dieser Stelle ein Blick in unsere Ehe: Als meine Frau mir 2010 von ihrer Planung eines Sabbaticals für uns im Ausland erzählte, in das sie, - würde ich mich weigern -, sonst auch allein gehen würde, sah ich fassungslos zunächst nur Unmöglichkeiten: „Wie sollten wir das meistern, ohne Verluste hinzunehmen? Das Haus musste weiter abgezahlt, die Rente eingezahlt, der Arbeitgeber überzeugt, die Arbeit verteilt, den Mitarbeitern diese Planung klar gemacht werden… Das Haus würde lange leer stehen, … nein, nein, nein. Das sind doch nur verrückte Gedanken!“ – So etwa ging es mir, bis ich diese Alternative auch mit Gott besprach. Langsam musste ich nicht mehr „mauern“. Lagen darin nicht auch Chancen? Jetzt konnte ich Fragen stellen: „Warum möchtest du das gerne machen? Wie hast du dir das genau vorgestellt? Was bedeutet das für uns? Wie können wir das zusammen gestalten?“– Und schließlich, - Stück für Stück -, öffnete Gott, fast wundersam, alle Wege in diesem Gestrüpp der Undenkbarkeiten. Möglichkeiten in Kenia eröffneten sich. Rückblickend entstand gerade daraus für viele ein großer Segen bis heute, z.B. unsere Hilfsorganisation „TS-Care“ [1] für notleidende Familien in den Slums von Nairobi und unser Ehebuch (Hübner 2020).

 

3.   Wer jetzt überlegt handelt, wird es später nicht bereuen. Wie in allen Lebensabläufen kommt es nicht auf die Tatsachen an, die wir erleben, sondern darauf, wie wir mit diesen Tatsachen verantwortlich umgehen (nach Epiktet 1992:11), wie wir sie „deuten“ (Adler). Wie gehen wir also mit solchen Krisen in unserer Ehe hilfreich um? 

Paare können sich jetzt durch Worte, Verhalten, Rückzug oder Trennungsgedanken gegenseitig zutiefst verletzen. 

Unvernünftig ist allerdings solche „Aufbruchstimmung“ überhaupt nicht, wenn auch manchmal furchterregend und beunruhigend. Wir können diese Zeit aber zusammen als Herausforderung erleben. Wir können neue Wege einschlagen. Sie „..kann als zweiter Frühling empfunden werden, als willkommener Neustart, als Drücken des „Reset“-Knopfs für das eigene Leben“ (Kreisel 2020). Durch solche Krisen können Paarbeziehungen eben auch ganz neu reifen. Es geht um eine klare Lebensbilanz, eine weitere kluge gemeinsame Lebensplanung. Besprechen Sie dies mit bewussten Christen, die erfahrene Seelsorger, Eheberater oder Therapeuten sind. 

 

Jetzt geht es darum, beim anderen um eine gemeinsame Horizonterweiterung, um Veränderungen im Kleinen zu werben, ein neues verbindendes Hobby zu probieren, sich auf einen gemeinsamen Sport zu freuen, etwa miteinander zu tanzen, interessante Reisen zu planen. Ungesunde Umstände können und sollten jetzt geändert werden. Auch gute Beziehungen und Freundschaften ganz neu zu pflegen, das ist für jedes Paar elementar. Ein Paar, das sich nicht isoliert, sondern gut eingebettet weiß in eine Gemeinschaft, lebt gesund[2]. Vielleicht geht es auch darum sexuelle Vorstellungen zu besprechen und in der Ehe auszuleben. Beginnen Sie gemeinsame Umgestaltungen im Kleinen und durchbrechen Sie eingefahrene Routinen wieder mit mehr Abenteuerlust. Reden Sie zusammen darüber, wie Ihr Leben aussehen könnte, wenn die nächste Lebensphase in 5/10 oder 20 Jahren beginnt. In meiner Beratungspraxis haben es Paare immer wieder geschafft gerade durch solch eine Krise zu einer gesunden, guten Änderung und Erneuerung zu kommen. 

 

Zerstörend aber sind Trennungsgedanken und Fantasien fremd zu gehen. Sie gleichen jenem, der Klavier lernen möchte und dabei alles hinschmeißen will, weil es so schwer ist und sich sagt: „Blödes Klavier! Ich werde mir ein neues kaufen!“ In der Regel machen sie sich etwas vor. Sie geben häufig nach einer Trennung ihr Leid nicht zu: Auch die schöne gemeinsam erlebte Vergangenheit können sie mit niemandem auf der Welt mehr teilen, außer mit dem Ex-Partner. Sie schreiben schließlich auch ihre schönen gemeinsamen Lebensphasen ins Negative um nach dem Motto: „Es kann nicht sein, was nicht sein darf...“.

 

4.   Handeln Sie nicht aus Minderwertigkeitsgefühlen heraus. Jetzt überstürzt Hand anzulegen, ohne auf das gemeinsame „WIR“, das ständig in der Ehe gepflegt werden muss, zu achten, deutet meist auf eine neurotische Persönlichkeitsstörung hin. An überhöhten Zielen und Erwartungen erfahrungsgemäß die Stärke der unbewussten Versagensgefühle und Selbstzweifel abgelesen werden. Psychologen sprechen dabei von „Überkompensation“: Alles muss sich ändern, und zwar sofort! Damit schadet man am meisten sich selbst, was man irgendwann zurückblickend reumütig erkennen muss. Begonnen hat alles aber mit einem gedankenlosen, unklaren und nie genannten Irrglauben an die eigene Minderwertigkeit trotz den Zusagen Gottes und manchmal großer Lebensleistungen. Hier kann Seelsorge und Therapie hilfreich sein.

 

5.   Liebe ist eine Entscheidung! Kämpfen Sie immer um das gemeinsame WIR! Mag sein, dass in ihrer Ehe auch die „Schmetterlinge im Bauch“, Verliebtheitsgefühle und Romantik auf der Strecke geblieben sind. Nur auf der Grundlage einer ständig neuen Entscheidung können sie auch wieder entstehen. Zu dieser Entscheidung der „Liebe“ als Christ zu stehen heißt deshalb nicht zuerst Gefühlen hinterher zu hecheln, sondern zunächst nüchtern biblische Liebe zu leben (Die Bibel: Mrk.12, 28-30). Die beste Prophylaxe für die Ehe in der Midlife-Crisis: Längst vor ihr regelmäßigen „Beziehungsriten“ hohe Priorität zu geben, heißt diesem Gebot zu gehorchen und die langfristig positiven Folgen zu ernten. Pflegen Sie ein regelmäßiges Ehecoaching! Auch der feste Termin für ein wöchentliches etwa halbstündiges Ehemeeting unter dem Vorzeichen: „Wir wollen unser Projekt Ehe miteinander zum Ziel führen“ ist vielen gestressten Paaren zur Hilfe geworden. Impulse für solche Gespräche haben wir in einem Buch „Der Kick für die Partnerschaft“ (Hübner 2020) zusammengestellt, das gerade erschienen ist. In ihm haben wir über viele Jahre Eheberatungserfahrung zusammengestellt. 

Dazu planen Sie ein jährliches Wochenende zu zweit, mal wieder den Besuch eines Eheseminars oder -vortrags und natürlich regelmäßige gegenseitige Überraschungen und Freuden. 

Und: Gehen Sie immer den ersten Schritt auf den anderen zu! Geben Sie sich Liebesbekundungen im Alltag und strahlen Sie öfter mal wieder den anderen an, wenn er den Raum betritt.

Michael Hübner

 

 

Quellenverweise:

 

Epiktet 1992. Handbüchlein der Moral. Griechisch/Deutsch. Stuttgart: Reclam.

 

Hery-Moßmann, Nicole 2020. Männer in der Midlife-Crisis: Das sind die Symptome. In: https://praxistipps.focus.de/maenner-in-der-midlife-crisis-das-sind-die-symptome_103909 Eingesehen am 07.07.2020

 

Hübner, Michael & Utina 2020. Der Kick für die Partnerschaft. Vitaminkur für das Ehegespräch. Concepcion Seidel: Hammerbrücke, Muldenhammer

Kreisel Kristina 2020. Paartherapeutin erklärt, wie Sie eine Midlife-Crisis beim Partner erkennen - und Ihre Liebe die Krise übersteht.  In: https://www.focus.de/familie/beziehung/paartherapeutin-erklaert-wie-sie-eine-midlife-crisis-bei-ihrem-partner-erkennen-und-ihre-liebe-die-krise-uebersteht_id_10725869.html Eingesehen am 08.07.2020

 

Ornish, Dean 1999. Die revolutionäre Therapie: Heilen mit Liebe. Schwere Krankheiten ohne Medikamente überwinden. München

 

Ruckriegel, Karheinz 2020. Warum die Krise glücklicher macht. In: Fränkische Landeszeitung vom 06.07.2020. 

 

Gerade am Erscheinen in 2. Auflage: Hübner, Michael & Utina 2020. Der Kick für die Partnerschaft. Vitaminkur für das Ehegespräch. Concepcion Seidel: Hammerbrücke, Muldenhammer

[1] Näheres unter:  www.care.stiftung-ts.de[2] Dean Ornish (1999), der Leibarzt von Bill Clinton sagt: „Sozial isolierte Menschen hatten im Vergleich zu jenen, die über ein starkes Zusammengehörigkeits- und Gemeinschaftsgefühl verfügten, ein mindestens zwei- bis fünfmal so hohes Risiko, vorzeitig zu erkranken und zu sterben.“ 




Michael Hübner

 

 







 



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